Bewegung und Erregung

Kommentar von Dr. Thomas Günther

 

Stillstand bei Verhandlungen bedeutet nicht Stillstand im Hintergrund. Insgesamt drei
Landesverbände, zwei des VDSF (Bayern und Thüringen) und einer des DAV
(Brandenburg) haben in einer gemeinsamen (!) Erklärung unter dem Titel „Initiative
Pro DAFV“ die Fortsetzung der Fusionsgespräche gefordert. Thüringen und Bayern
setzen damit konsequent und öffentlichkeitswirksam die Beschlüsse ihrer
Jahreshauptversammlungen um. Wichtiger ist vielleicht noch, dass in beiden
deutschen Angelverbänden die jeweils größten Landesverbände öffentlichkeitswirksam
und gegen die bisherige Linie ihrer Bundesverbände stellen. Sie akzeptieren
nicht tatenlos das von den Bundesverbänden verschuldete Scheitern der
Fusionsgespräche.

Die beiden Bundesverbände beeilen sich – unabhängig voneinander – die
bayerisch-brandenburgisch-thüringische Erklärung zu begrüßen. Doch DAV und VDSF
ihre Stellungnahmen klingen seltsam stimmschwach. Denn sie wissen: Mit der
gemeinsamen und verbandsübergreifenden Länder-Erklärung „Initiative Pro DAFV“ wird
das klägliche Verhandlungsergebnis der Bundesverbände in aller Öffentlichkeit kritisiert,
zugleich werden die Vorstände von DAV und VDSF von den jeweils größten Regionalorganisationen düpiert. Nicht mehr Mohnert und Markstein, sondern Braun, Weichenhahn und Roese stehen an der Spitze der Bewegung – und hinter ihnen ein nicht zu übersehender Großteil der organisierten Angler in Deutschland, die die jetzige Initiative
mit ihren Beschlüssen tragen.

Bayern und Thüringen haben für den Fall des Scheiterns der Fusionsverhandlungen der
Dachverbände klare Austrittsbeschlüsse gefasst. Dass sich die dortigen Vorstände nicht mit einer Zaungastrolle begnügen können, sondern aktiv dafür kämpfen müssen, diese verbandspolitische Katastrophe zu verhindern, hat man in Erfurt und München erkannt. Über die Motivation des Landesanglerverbandes Brandenburg ist wenig bekannt. Er steht als „Abweichler“ deutlich unter öffentlicher Kritik – natürlich insbesondere unter den Fusionsgegnern im DAV. Es wäre gut, wenn sich die organisierten Angler in Brandenburg hierzu alsbald öffentlich erklären würden.

Die Initiative ist sehr und nicht nur wegen ihres Mutes zu begrüßen. Denn es gibt keine wirkliche Alternative zur Fusion der beiden Verbände. Viele, die das Fusionsvorhaben kritisieren, weil sie fürchten, dass der jeweils andere Verband zu viel von seinen Eigenheiten einbringen könnte und „fischereiideologische“ Lehrmeinungen des anderen Oberhand gewinnen könnten, übersehen, dass das Eintreten für die Belange von Anglern auf Bundesebene wirksam nur von einem Verband geleistet werden kann. Deswegen ist es auch ein Irrweg, über die vermeintlich „großen“ Streitthemen ein endgültiges Pro oder Contra per Fusionsverfahren erzeugen zu wollen. Von Anfang an krankten die Verhandlungen daran, dass man darüber stritt, ob ein Setzkescherverbot oder ein
Catch & Release-Verbot in die neue Satzung aufgenommen werden müsse – ganz
so, als könnten derartige Forderungen nicht nach der Fusion per Mehrheitsentscheidung aufgestellt werden. Für einen Zusammenschluss der Verbände sind diese fachlich-inhaltlichen Fragen nicht erforderlich; im Gegenteil: sie erschweren den Prozess. Aber ohne die Fusion werden sich die Verbände in ihrer widersprüchlichen Lobbyarbeit weiterhin neutralisieren – und so nichts dazu beitragen, dass diese jeden Angelfischer betreffenden Fragen zufriedenstellend und rechtssicher gelöst werden. Es ist ein Verband zu formen, nicht alte Ideologien in neue Steine zu meißeln. Um es nochmals klar zu sagen:
Wenn wir eine starke Organisation sein werden, dann werden wir alle Streitfragen lösen. Wenn wir vorher alle Streitfragen zu lösen versuchen, werden wir nie eine starke Interessenvertretung sein.

Deswegen darf jetzt nicht missverstanden werden, wenn die jetzige Initiative „Pro DAFV“ im Anhang einen Satzungsentwurf mitübersendet. Damit soll der Verhandlungsfluss
wieder in Gang gesetzt werden, um aus dem Klein-Klein der Schuldzuweisungen der
letzten Monate heraus zu kommen. Missversteht man jedoch die Übersendung des
Satzungsentwurfes als Aufforderung zu einem „Weitermachen – wie bisher“, so
würde man das Engagement der Länder in das Gegenteil wenden. Das wäre der
Versuch, die Offroad-Fahrt in einem Kleinwagen mit Totalschaden fortzusetzen.
Nein, weiteres Verhandeln im Hinterzimmer wird vielleicht (wenn überhaupt) zu
einem Schmalspurverband führen, aber nicht zu einem Verband, mit dem sich die
Mehrheit der Angler in Deutschland identifizieren kann.

Vergessen wir nicht, dass die Störung des Verhandlungsprozesses tiefergehende Ursachen hat: Das Agieren der beiden Bundesverbände ist geprägt von kaum zu übersehender Unsicherheit. Das VDSF-Präsidium, das sich noch im April mit absolutistischer Herrschaftsmacht über die Frage des „Ob“ einer Fusion ausstatten ließ, freut sich kleinlaut, dass der Stein wieder ins Rollen gebracht wird – freut es sich wirklich? Und auch der DAV erklärt sein Wohlwollen, obwohl er selbst außer Erklärungen des Bedauerns wenig nach vorne gearbeitet hat. Nicht einmal jetzt sind die Bundesvorstände in der Lage,
wenigstens zu erklären, dass man einen neuen Fahrplan braucht und entwickeln will.
Von einer gemeinsamen Erklärung von DAV und VDSF nicht einmal der Hauch einer
Idee.

Diese Unsicherheit der Bundesverbände rührt nicht allein aus Überforderung. Sie hat
ihre tieferen Ursachen darin, dass man sich in Offenbach und Berlin mehr und mehr bewusst wird, wie wenig man in diesem Prozess die Anglerschaft mitgenommen hat. Von jenen, die noch im letzten Jahr so lauthals wie öffentlich verkündeten, dass die Fusion ein
Selbstläufer sei, weiß keiner, ob sich der überwiegende Teil der organisierten Angler dieses Landes in dem neuen Gebilde wiederfinden könnte oder einfach nur austreten würde. Die Fusion zweier in vielen Punkten seit Jahrzehnten kontrovers agierender Verbände setzt wenigstens ein Mindestmaß an geteilter Wertorientierung voraus, die es derzeit in der Anglerschaft jedenfalls noch nicht gibt – ohne die aber eine Fusion nicht gelingen kann.

Es bedarf einer artikulierten (!) mehrheitlichen Überzeugung der Basis, dass das Ziel einer guten Interessenvertretung durch einen einheitlichen Verband höher zu bewerten ist als die jede fachliche Frage zur Ausübung der Fischerei. Daran aber fehlt es vor wie nach. Auch wenn dieser innere „Reifungsprozess“ noch ein paar Jahre dauern wird – er ist für eine stabile Fusion notwendig, wenn man nicht alsbaldige Abspaltungsbewegungen
erheblichen Umfanges oder gar das endgültige Scheitern riskieren will. Natürlich ist das aufwendig und unbequem. Aber wir alle wollen doch Mitglieder in einem Verband sein, der unsere Interessen als naturschützende Angler und angelnde Naturschützer vertritt, wenn auch nicht immer unsere eigene Meinung, aber sehr wohl und sehr stark die Meinung der Mehrheit von uns. Mitglied in einem Angelverband zu sein ist ein Stück innerer Heimat – und ihr versucht, die Landkarte ohne uns neu zu malen. Das wird nichts werden! Es muss endlich von allen Repräsentanten begriffen werden, dass ein glaubwürdiges Agieren im politischen Raum zwingend eine überzeugende
Willensbildung nach innen
voraussetzt. Denn Lobbyarbeit ist keine Propaganda für Meinungen von Präsidenten, sondern sie ist das offensive Eintreten für die durch demokratische Beschlüsse ausgedrückte Wollen der Mehrheit der Anglerschaft.

Die nächsten Schritte sind, nachdem der Rauch aus dem versengten Terrain verzogen sein wird, die Fusion jeweils nach innen vorzubereiten. Schafft Mehrheitsbeschlüsse
darüber, was das Ziel der Übung ist und welche Eckpositionen unbedingt vor der
Fusion festgelegt werden müssen. Je mehr davon, desto schwieriger wird alles
Folgende. Je weniger, desto größer die Erfolgschancen. Streitet! Aber seid
verantwortungsvoll und geht mit Augenmaß vor! Überzeugt endlich die Basis, dass
eine wirkungsmächtige Interessenvertretung für alle Angler besser ist als jedes
Beharren auf längst durchdiskutierten Forderungen in Einzelfragen. Die Zukunft
der Angelfischerei in Deutschland entscheidet nicht der Setzkescher, sondern
die Akzeptanz, die sich die Angelfischerei in der Gesellschaft insgesamt
erarbeitet.

Post scriptum: Ich habe in diesem Blog nicht mit Kritik gespart.
Vielleicht hat manch einer, der dieses gelesen hat, gedacht: ‘Kritisieren ist
einfach – warum macht er keine Vorschläge, wie es weitergeht’. Ich habe bewusst
darauf verzichtet, einen besseren „Fahrplan“ für die Fusion, den ich entwickelt
habe, hier vorzustellen. Es ist Aufgabe der Berichterstatter, auf Fehler
hinzuweisen und Aufgabe der gewählten Funktionäre, die Zukunft zu gestalten.
Aber ich erlaube mir einen – zugegeben etwas kostspieligen – Hinweis: Das
Fusionsgeschäft ist objektiv kein leichtes. Warum nicht ein externes
Beratungsunternehmen damit beauftragen? Das machen andere auch so. Die
Herstellung einer starken Interessenvertretung der Angler in Deutschland ist
eine große gesellschaftspolitische Verantwortung! Damit stoßen wir an die
Grenze des ehrenamtlich Machbaren. Warum gönnen wir uns nicht diesen
Erfolgsfaktor? Ist unser Selbstwertgefühl so klein? Oder unterschätzen wir, was
die Verschmelzung zweier Verbandsorganisationen wirklich bedeutet?

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